Der Fall des deutschen Arztes kurdischer Herkunft, Unternehmers und Publizisten
Dr.med. Yekta Uzunoglu ist und bleibt offenbar auch der erschütterndste Fall von durch die tschechische Nachwendejustiz begangenen Unrechts.
Dr. Uzunoglu studierte in den Jahren 1974-1979 allgemeine Medizin an der Karlsuniversität in Prag. Bereits während der Studien lernte er viele Unterzeichner der Charty 77 kennen und druckte gemeinsam mit Adventisten viele "verbotenen" Publikationen illegal und verbreitete sie.
Während der Studien organisierte er mit weiteren kurdischen Studenten auf der schwedischen Botschaft in Prag einen Hungerstreik gegen die Auslieferung von kurdischen Studenten an Saddam Hussein durch das kommunistische Regime. Bei der Beendigung des Hungerstreiks verpflichteten sich die tschechischen Behörden, den Teilnehmern des Hungerstreiks den Abschluss des Studiums an den tschechischen Hochschulen zu ermöglichen.
Nach Beendigung der Studien wurde Dr. Uzunoglu jedoch umgehend aus der Tschechoslowakei ausgewiesen, er arbeitete in Frankreich und der BRD. Unter anderem war er Mitgründer des Kurdischen Instituts in Frankreich und der BRD, mit der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" gründete er Feldkrankenhäuser im Irak und im Iran. Er gab Übersetzungen ins Kurdische von Teilen der Bibel, von Büchern Karel Capeks und die erste Grammatik der kurdischen Sprache heraus. In der BRD hatte er nicht nur eine Arztpraxis, sondern begann auch erfolgreich unternehmerisch tätig zu sein.
Nach der Novemberrevolution kehrte er in der Tschechoslowakei zurück und beteiligte sich aktiv an den Veränderungen in der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik: u.a. baute er ein erfolgreiches Import-Export-Unternehmen auf, publizierte Artikel und Bücher (u.a. auch gemeinsam mit dem heutigen Präsidenten der Tschechischen Republik Václav Klaus). Im Jahre 1994 wurde er zum Alleinvertreter des Unternehmens ŠKODA-PRAHA für den gesamten Mittleren Osten und erzielte bald den ersten Vertrag für die Tschechische Republik in Höhe von ca. 360 Mio US $.
Seine erfolgreiche Tätigkeit beunruhigte offenbar die ehemaligen kommunistischen Export-Import-Gesellschaften (zumeist Spionagezentrum der Staatssicherheit und der kommunistischen Spionage).
Am 14. September 1994, kurz vor der Unterzeichnung eines weiteren großen Vertrags mit der bedeutenden englischen Gesellschaft BOOTS, wurde Dr. Uzunoglu in einer Art und Weise festgenommen, die auffällig an die theatralischen Polizeiaktionen, politischen Prozesse der fünfziger Jahre und die Polizeischikanen gegen die Unterzeichner der Charta 77 in den siebziger Jahren erinnerte. Er verbrachte 2,5 Jahre in Untersuchungshaft, wurde physisch und psychisch gefoltert. In der Causa Uzunoglu wurde die Regierung der Tschechischen Republik mehrmals im Parlament der Tschechischen Republik interpelliert. Während der Untersuchungshaft stellten deutsche Behörden ihm einen deutschen Pass in das Gefängnis zu, nachdem ihm die BRD die Staatsbürgerschaft verliehen hatte.
Von den ursprünglichen vier inszenierten Beschuldigungen (Vorbereitung eines dreifachen Mordes, unerlaubte Bewaffnung, wirtschaftliche Delikte und Folterung) – blieb lediglich Folterung übrig, wobei die gesamte Beschuldigung lediglich auf sich ständig ändernden Aussagen eines türkischen illegalen Einwanderers begründet ist, eines Menschen mit mehreren Identitäten, der als Angehöriger der türkischen kommunistischen Zellen über die UdSSR und die DDR in die Tschechoslowakei gekommen war, zudem eines Agenten der tschechischen Polizei, einer Person, die, bewaffnet mit einem Maschinengewehr der Marke Skorpion, durch Prag ging, einer Person ohne nachweisbare Einkünfte und Beschäftigung. Den letzten vereidigten Aussagen des Zeugen – Agenten – des "geschädigten" türkischen Bürgers Gurkan Gönen alias Göksel Otan (verwickelt u.a. in die Tätigkeit einer Reihe von kriminellen Gruppen, die in Westeuropa, der BRD und den USA wirkten und strafrechtlich verfolgt wurden) zufolge hat Dr. Uzunoglu ihn nie gefoltert – er hatte in der tschechischen Presse davon gelesen, dass er ihn gefoltert haben sollte.
Vertreter der englischen Gesellschaft BOOTS, die mit Dr. Uzunoglu die gesamte Zeit verbrachten, in der er der Anklage zufolge foltern sollte, und welche also Dr. Uzunoglu ein absolutes Alibi verschaffen, wurden über 13 Jahre hinweg nicht verhört.
Das tschechische Bezirksgericht Prag 4 (Senatsvorsitzender Mgr. Vítezslav Rašík) weiß sich offensichtlich mit der ganzen Causa keinen Rat. Zuerst wollte er den gesamten Fall des deutsch-kurdischen Arztes mit ständigem Aufenthalt in der Tschechischen Republik der türkischen Justiz (2003) (so als hätte die tschechische Justiz noch nie von der Verfolgung der Kurden in der Türkei gehört) übergeben. Später, im Jahre 2003 stellte der Richter Rašík das strafrechtliche Verfahren gemäß der Konvention über den Schutz der Menschenrechte und der grundlegenden Freiheiten im Hinblick darauf ein, dass dieser Prozess unangemessen lang (über 9 Jahre) dauert, "wenngleich es sich um eine Sache handelt, die aufgrund ihrer Kompliziertheit den üblichen Rahmen der behandelten Strafsachen übersteigt" (Zitat aus dem Gerichtsbeschluss). Das Höhere Gericht in Prag hob diesen Beschluss des Bezirksgericht Prag 4 auf – seitdem wird der Prozess gegen Dr. Uzunoglu mit einer außergewöhnlichen Anzahl von elementaren Fehlern und formalen Mängeln, immer zu Lasten von Dr.Uzunoglu, fortgesetzt. Im Jahre 2006 sprach der Senat des Richters Rašík einen Urteilsspruch über seine Befangenheit aus, wegen eines eklatanten Rechtsmangels hob das Stadtgericht Prag den Urteilsspruch über die Befangenheit auf.
Im April 2006 veröffentlichte eine Gruppe von bedeutenden tschechischen Intellektuellen, darunter einige Senatoren und Parlamentsabgeordnete und Universitätsprofessoren, den offenen Brief Wir klagen an, der eine große Publizität in den tschechischen Medien und unter Politkern erlangte. Der Brief war auf der Analogie zwischen der Dreyfusaffäre (Dreyfus 1894 verhaftet, Uzunoglu – 1994; Dreyfus 1906 rehabilitiert und ausgezeichnet – Uzunoglu ???) begründet.
Veröffentlicht wurden auch zig Artikel über die Uzunoglu-Affäre und eine Reihe von Interventionen seitens von Senatoren, Parlamentsabgeordneten und Vertretern öffentlicher Organisationen bei den zuständigen Ministern.
Im April 2006 wurde Dr. Uzunoglu durch die Stiftung Charty 77 mit dem renommierten Dr.med.František-Kriegel-Preis für zivile Tapferkeit ausgezeichnet.
Im Februar 2007 sieht die Situation so aus, dass der Staatsanwalt die Anklage nicht zurücknehmen darf (?), dass der Richter Rašík nicht in der Lage ist, ein gerechtes Urteil auszusprechen und dass Dr. Uzunoglu ohne nachdrücklichen Druck der EU und internationaler Organisationen auf die Regierung der Tschechischen Republik der Bürger der BRD in der Tschechischen Republik keine Gerechtigkeit erlangt.
In der Ära der Computer, Faxe, des Internets und der Düsenflugzeuge dauert der Kampf um die Gerechtigkeit für Dr. Uzunoglu in der Tschechischen Republik länger an, als die Rehabilitierung von Dreyfus in Frankreich vor hundert Jahren dauerte, also in einer Zeit, als die revolutionärsten Kommunikationsmittel Gänsefeder und über Draht gesandte Telegramme waren.
Die Causa des Dr. Uzunoglu ist schon lange zum Spiegel der tschechischen Justiz geworden!
František Janouch
Im Namen der Gruppe der Unterzeichner des Offenen Briefs Wir klagen an…
Prag, 3.2.2006