05. Juli 2007
Göttingen

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker wurde auf dem jüngsten Treffen der Sozialistischen Internationale am 29./30. Juni 2007 in Genf der Antrag gestellt, die türkische CHP (Cumhuriyet Halk Partisi) aus der Vereinigung auszuschließen. Wir, die Gesellschaft für bedrohte Völker, unterstützen als Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte verfolgter ethnischer, rassischer und religiöser Minderheiten einsetzt, diesen Antrag ausdrücklich.

Die CHP, besonders unter ihrem heutigen Vorsitzenden Deniz Baykal, kann und darf unter keinen Umständen als sozialdemokratisch oder sozialistisch bezeichnet werden. Schon ihre Gründung im Jahr 1923 war nicht das Ergebnis ziviler Anstrengung, sondern der Wünsche der damaligen republikanischen Bürokratie und besonders des Militärs. So wurde die CHP als Staatspartei gegründet, deren Aufgabe es war, das Erbe Kemal Atatürks zu verteidigen und seine Ideologie in der neuen Republik umzusetzen. Dieses Erbe beinhaltet zwar die heute allseits gelobte Trennung von Religion und Staat, viel schwerer wiegt allerdings die strenge Verteidigung der Republik gegen jegliche äußere Einflüsse und der daraus resultierende übersteigerte Nationalismus. Besonders unvereinbar mit sozialdemokratischer Politik ist das schon aus der Gründungszeit der Partei stammende Prinzip der nationalen Einheit sowie die politische Dominanz der türkischen Armee. Aus diesem Prinzip resultierte und resultiert eine permanente Politik der Unterdrückung von Minderheiten und allem, was von der Partei auf die eine oder andere Weise als ‚untürkisch’ betrachtet wird. Dies äußert sich dann im zeitweiligen Verbot der kurdischen Sprache und in der permanenten Beschneidung der Rechte der Minderheiten, besonders der Kurden. Eine solche Politik darf eine internationale Vereinigung sozialdemokratischer Parteien nicht dulden!

Auch wenn die CHP nach dem Ende ihrer Alleinherrschaft in den 1950er Jahren versuchte, sich aus wahltaktischen Gründen als Mitte-Links-Partei zu etablieren, so ist sie doch ein Hort der nationalistischen Eliten geblieben. Selbst das türkische Massenblatt Hürriyet, sonst durchaus ein Sprachrohr der Säkularen, schrieb unlängst, die Partei sei schon längst "nicht mal mehr demokratisch. Die türkische Politik ist entartet, ihr Zentrum hat sich stark nach rechts verlagert und die Verantwortung tragen alleine die CHP und ihr Führer Deniz Baykal." Dies ist auch und gerade an den tagespolitischen Ereignissen zu erkennen. Der aktuelle Vorsitzende, Deniz Baykal, versucht mit übelster Kriegspropaganda und rassistischer Hetze Wähler aus dem rechten Spektrum zu gewinnen. Viele Beobachter gehen davon aus, dass diese extrem nationalistische Rhetorik dazu dient, ein künftiges Bündnis mit der rechtsextremen MHP (Milliyetci Hareket Partisi) vorzubereiten, um auf diese Weise die regierende AKP bei den nächsten Wahlen ablösen zu können. Nicht selten wird dabei die Meinung laut, die CHP habe die MHP zu diesem Zwecke bereits rechts überholt. Parteiinterne Widersacher, die für eine Verknüpfung von sozialdemokratischen Grundsätzen mit einer modernen Form des Kemalismus eintreten, werden dabei konsequent von Baykal aus der Partei ausgeschlossen. Daher stehen heute an der Spitze der Partei ausschließlich Traditionalisten, die sich eine komplette Rückkehr zum System der republikanischen Staatspartei wünschen. Dieser despotische Führungsstiel, bei dem Baykal auch vor Betrugs- oder Bestechungsvorwürfen nicht zurückschreckt, um unliebsame Parteimitglieder loszuwerden, ist zutiefst undemokratisch und darf von ihrer Organisation nicht toleriert werden.
Baykal lehnt, genau wie das Militär, jegliche friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes oder Änderung des Paragraphen 301 ab. Dieser Paragraph stellt jede Beleidigung des Staates, Atatürks, des Militärs, der Justiz oder des Türkentums im Allgemeinen unter Strafe. Er wird von nationalistischen Kreisen in Militär und Justiz häufig willkürlich benutzt, um Kritiker mundtot zu machen oder sie gleich hinter Gitter zu bringen. Da all dies unter dem Deckmantel des Kampfes für die nationale Einheit geschieht, wird deutlich, dass in den Augen der CHP unter Deniz Baykal die nationale Einheit des Staates mit demokratischen Grundsätzen und Menschenrechten nicht zu vereinbaren ist! So war es denn auch die Hetze Baykals und der CHP, die maßgeblich für die Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink verantwortlich war.

Die CHP arbeitet gemeinsam mit dem Militär an einer Eskalation des Kurdenkonfliktes, indem sie sich eher heute als morgen einen Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak wünscht, um dort die PKK bekämpfen zu können. Ein solcher Einmarsch würde nicht nur die Unruhen innerhalb der Türkei eskalieren, sondern zudem eine unabsehbare Spirale der Gewalt in der Region in Gang setzen und mit Irakisch-Kurdistan die letzte friedliche Region des Irak destabilisieren. Dies würde auch den im Zentral- und Südirak verfolgten Christen und anderen Minderheiten ihre letzte Zufluchtsstätte nehmen und eine humanitäre Katastrophe auslösen.
So macht Baykal im Namen von Nationalismus und Sicherheit Front gegen Auslandsinvestitionen und die Stärkung der Minderheitenrechte, indem er, vom Militär unterstützt, immer wieder die Angst vor einer internationalen Verschwörung der PKK mit den USA und der EU schürt. Die Süddeutsche Zeitung schreibt in ihrem Beitrag "Warten auf Schnee in der Hölle" vom 02.05.2007 zu diesem Thema: "Baykals Programm ist einfach: Sag immer das Gegenteil von dem, was die Regierung möchte. Schüre Angst. Der Politologe Kemal Kilic hat sich die Mühe gemacht und über ein Jahr hinweg 33 Baykal-Reden analysiert: "Darin kommt genau elf Mal das Wort ,Sozialdemokratie‘ vor", referiert Kilic, "aber 232 Mal das Wort ,Gefahr‘"."

Am treffendsten fasst aber wohl der liberale Autor Metin Münir die heutige Ausrichtung der CHP zusammen: ,,Eher schneit es in der Hölle, als dass die CHP an die Macht kommt. Sie bietet keine Lösungen an für die großen Probleme der Türkei. Sie ist fern vom Volk. Sie steht nicht links von der Mitte, sondern rechts von rechts. Die Türkei ist jung, die CHP ist alt. Die Türkei möchte sich ändern, die CHP will stehen bleiben. Baykal hat die CHP zur Geisel seiner politischen Karriere gemacht, und die CHP hat diese Gefangenschaft freiwillig akzeptiert."

Sehr verehrte Damen und Herren, darf eine solche Partei Mitglied in ihrer Vereinigung sein? Unterstützen Sie unseren Kampf für Demokratie und Menschenrechte! Unterstützen Sie einen Ausschluss der CHP aus der Sozialistischen Internationalen!

Mit freundlichen Grüßen,

Tilman Zülch,
Generalsekretär

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